User:Meco/Insektoid

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INSEKTOID

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INSEKTOID
Der Ruf aus der Zukunft. Vor dir steht ein riesenhafter
Kopf mit Rüssel und großen Facettenaugen. Ein Ruf aus
der Zukunft. Ein Ruf aus deinem Inneren, das weiß, daß
die Zukunft schon begonnen hat.
Das Insektoid steht vor deinem Auge und starrt dich an, und du beginnst
zu ahnen, was es sieht. Du starrst in sein Auge und siehst etwas, das so
ohne Wärme, so ohne Gnade, so ohne Sehnsucht, so ohne menschliches
Gefühl ist, daß du zu fürchten beginnst, es sei dein Feind. Doch das
Insektoid ist nicht dein Feind. Das Insektoid kommt aus deiner Zukunft.
Das Insektoid ist in deiner Seele. Das Insektoid will Kontakt.
Was ist das Insektoid? Ist es ein Angstbild? Ist es eine Hoffnung? Ist es
eine Ratlosigkeit? Wie kommt es in deine Seele? Warum siehst du es?
Siehst du es?
Du siehst das Insektoid, wenn du ganz alleine bist. Denn dann verläßt du
eine deiner Grundlagen, und es ist Raum für etwas Neues. Die

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Grundlage, die du verläßt, ist die Selbstverständlichkeit deiner Existenz als Individuum.
Es ist selbstverständlich, daß man unentwegt den Einflüssen der
Außenwelt ausgesetzt ist. Der Wille kann nicht mehr als eine
Richtungsangabe in diesem Strom bewirken. Ebenso selbstverständlich
könnte es aber sein, daß dieses Individuum wiederum Produkt vieler
Strömungen der Innenwelt ist. Ist es das nicht? Nun gut. Du erfährst das
Insektoid, wenn du alleine bist, wenn du zur Ruhe kommst, wenn deine
Aufmerksamkeit nach Innen sinkt.
Ist dort Vergangenheit?
Ist dort eine Zukunft?
Ist dort Antrieb, Wille, Sehnsucht?
Doch welches Land liegt jenseits von alledem? Ist dort auch ein Wesen?
Sicher wohnen im Menschen Wesen. Das weiß jeder, dem es nicht zu
kompliziert ist, das zu wissen. Manchmal wohnen dort Hunde, Pferde,
Löwen, Frösche
Oft wohnen dort auch Menschen. Geliebte, Verwandte, Gefürchtete. Und
irgendwo da drinnen, vielleicht etwas tiefer, vielleicht etwas älter, wohnt
auch das Insektoid.
Was ist das für ein Wesen? Wo kommt es her? Wird es von dir
geschaffen? Erschafft es dich?

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I
Plötzlich und unerwartet dringt das Insektoid in die Wahrnehmung ein. Es
kommt meist, wenn der Mensch erschöpft ist. Es kommt, wenn er
überlastet ist. Die Überlastung wirft ihn aus der gewohnten Welt des
menschlichen Zusammenlebens. Die Überlastung zwingt ihn in die
Isolation.
Das Insektoid erscheint in unterschiedlich
starker Intensität. Der eine
sieht nur flüchtig irgendwelche Insekten,
wo keine sein sollten, dem
anderen steht das Insektoid Monate
lang unauslöschbar vor den Augen.
Manchmal hat es eine menschlichere
Ausstrahlung und wird mit Außerirdischen
in Verbindung gebracht,
manchmal ist es so fremdartig, daß
der Betrachter in anhaltende Panik
verfällt.
Etwas ist jedoch allen Erscheinungsformen des Insektoids gleich. Es
spricht nicht . Es hat riesige undurchdringliche Augen. Es ist
insektenhaft. Es starrt dich an.
Irgendwie hat das, was wir im Kontakt mit diesem Wesen empfinden viel
mit unserem Verhältnis zu den Insekten zu tun. In diesem Verhältnis
könnte ein Schlüssel liegen, der uns die Verständigung ermöglicht.
Die Gattung der Insekten ist alt, viel länger schon auf diesem Planeten als
Säugetiere und Menschheit. Einige Arten gibt es hier bereits seit über
400 Millionen Jahren. Der Abstand, der uns von ihnen trennt, ist
gewaltig. Es ist dieser Abstand, der uns erschreckt, eine Distanz, die wir
aber unter Umständen in kürzester Zeit zu überwinden haben.

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Die jetzige Situation der Menschheit
ist eine Situation der totalen
Überlastung. Wir haben uns selbst
in diese Situation gebracht. Der
Planet ist von unserer Gattung
übervölkert, und wir nutzen ihn
radikal aus. Obwohl uns schon seit
langem klar ist, daß die Konsequenz
dieses Verhaltens unweigerlich
in mehr als eine Katastrophe
führen wird, ändern wir unser Verhalten
nicht dem entsprechend. Die
Veränderungen, mit denen wir auf
dieses Wissen reagiert haben, sind
nicht schnell und effektiv genug.
Auch das wissen wir. Wir sind in
einer Sackgasse.
Das Überleben in unser selbsterschaffenen Endzeit ist eine Situation der
Überlastung. Die Wirkung bleibt nicht aus. Immer mehr Menschen und
ganze Völker verfallein in sinn- und ziellose Gewalt. Die Regierungen
beginnen die Kontrolle zu verlieren. Die Menschen greifen zu jeder
Fluchtmöglichkeit aus dieser Wirklichkeit. Wir haben uns selbst in die
Enge getrieben und verhalten uns entsprechend.
In dieser Situation erscheint das Insektoid. Sicher, viele Gestalten
erscheinen im Dilirium der totalen Zerstörung, um ihre Botschaft
loszuwerden, wie alles besser sein könnte. Doch das Insektoid spricht
nicht. Das Insektoid ist kein Mensch. Das Insektoid starrt uns an. Es
erscheint und bietet sich an. Vielleicht sind wir es, die Kontakt
aufnehmen sollten.

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Wollen wir uns mit dem Insektoid verständigen, müssen wir eine Reise
beginnen, eine Reise in Richtung des Insekts. Das Insektoid, das sich uns
gezeigt hat, macht diese Reise möglich. Es hat eine Spur gelegt, die den,
der ihr folgen will, den Weg über den Abgrund, der uns von der
Verwirklichung des Wunsches nach Überleben trennt, sicher finden lassen
könnte. Es ist eine Reise über die Abgründe der Zeit. Der Weg führt nach
Innen. Es ist ein Weg durch unsere Entwicklung zu Individuen, ein Weg
durch lang vergessene Brutkammern der Seele, ein Weg bis ans andere
Ufer unser Entstehungsgeschichte. Die Reise beginnt in der Einsamkeit.
Nur der Ruf des Insektoids ist im Ohr. Nur seine Botschaften sind in der
Erinnerung. Aber läßt uns nicht unvorbereitet losgehen. Es könnte Angst
aufkommen. Es könnte Schwindel den Geist erfassen und ihn in den einen
oder anderen Abgrund werfen. Wir werden vieles nicht verstehen. Laßt
uns lernen bevor wir losgehen. Das Insektoid wird uns lehren, welche
Sprache wir sprechen müssen, um zu verstehen.
Da Insektoid ist eine Äußerung. Es ist die Äußerung eines Willens. Dieser
Wille ist das Resultat einer Situation. Er wird von vielen Wesen getragen
-- auch von den Menschen. Er bezieht sich auf einen Teil unser
Gegenwart, der sich allmählich in die Zukunft auszudehnen beginnt. Es
ist eine Zukunft, die ein Überleben voraussetzt. Das Insektoid versucht

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etwas mitzuteilen. Es hat einen Raum gesehen, der in der nahen Zukunft
auf der Erde existieren wird, und der JETZT zu entstehen beginnt.
Dieser Raum ist etwas, das von den Menschen oft als "Herrschaft über
die Erde" bezeichnet worden ist. Es ist jedoch lediglich die Position
einer bestimmten Art von Einflußmöglichkeit auf diesen Planeten. Was
das Insektoid zu vermitteln versucht, ist die Notwendigkeit der
spezifischen Veränderung des Menschen, um in der Lage zu sein diesen
Raum einzunehmen. Die Fremdheit, mit der uns das Insektoid
gegenübertritt, ist der Ausdruck der Distanz, die uns noch von diesen
Voraussetzungen trennt. Gleichzeitig bezeichnet sie die andere Gattung,
die in der Lage sein könnte, den frei werdenen Raum einzunehmen:
Das Insekt.
Das Insektoid ist eine Äußerung in
Form eines Wesens. Es ist nichtmaterieller
Substanz und entsprechend
schwierig ist es, sich mit ihm
auseinanderzusetzen, ja vielleicht sogar
es für real zu halten. Doch wenn es
wahr ist, daß es zwischen uns und der
Zukunft vermitteln soll, wenn es wahr
ist, daß es uns auf etwas vorbereiten
soll, dann müssen wir seine Existenz
zunächst einmal akzeptieren. Wenn wir
die Botschaft ernst nehmen, die an uns
gerichtet zu sein scheint, dann müssen
wir sie auch zu verstehen versuchen.
Das Insektoid ist uns fremd und doch sehr nah. Wie sonst könnte es in
unser Inneres gelangt sein? Wahrscheinlich ist es dort schon seit sehr
langer Zeit. Wahrscheinlich sind es die Umstände, ist es die Situation,
weswegen wir es entdeckt haben. Wir müssen herausfinden, wie es in uns
gelangt ist. Wir müssen herausfinden, wann es entstanden ist. Und wir
müssen herausfinden, wo außer in uns es noch vorhanden ist.

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II
Eine Reise in die Seele erfordert die Fähigkeit zur Veränderung. Es hat
wenig Sinn, die Reise zu beginnen, wenn man sich schon beim ersten
Kontakt mit dem Insektenhaften den Geist verwirrt oder verängstigt die
Flucht ergreift. Der Mensch muß sich zunächst an das Insektoid in seiner
Nähe gewöhnen, bevor er darauf zu geht. Er muß von dem Verhalten, das
Insekten zeigen, lernen, und er muß es nachempfinden können. Langsam
wird er sich so einer Veränderung unterziehen, die seine Menschlichkeit
verwandelt und in ihm die Mittel zur Verständigung entstehen läßt. Dies
setzt zunächst einmal die Aufgabe seines Standpunktes voraus.
Um den Abstand, der den Mensch von dem Insekt trennt nachzuvollziehen
und zu realisieren, ist es notwendig, die Standpunkte beider
Arten zu kennen und sich doch auch von ihnen zurückziehen zu können.
Was zunächst einmal verlassen werden muß, ist der Standpunkt der
Menschlichkeit. Denn die Identifikation mit dem menschlichen Organismus
bezieht sich zunächst einmal auf dessen Lebensbedingungen
und das Zusammenleben mit anderen Menschen. Diese Bedingungen
werden sich in naher Zukunft drastisch verändern. Der
menschliche Standpunkt wird damit sinnentleert. Je weiter die Reise
nach Innen führen wird, desto losgelöster wird sie von der materiellkörperlichen
Bindung und allen ihren Konsequenzen sein.
Das Verlassen des menschlichen Standpunktes, bedeutet das Infragestellen
aller seiner Werte und Zweifel an jedem eigenen Verständnis. Es muß
klar sein, daß dieser Prozeß einem Ziel untergeordnet sein soll. Dieses
Ziel wird durch das Insektoid dargestellt. Es wird der einzige
Orientierungspunkt sein, um uns in die Richtung des Insekts zu leiten.
Als Vorbereitung dieser Umwandlung ist es sinnvoll, den Abstand
zwischen uns und den Insekten durch Auseinandersetzung und
Gewöhnung zu verringern. Vieles wird uns dann im unmittelbaren
Kontakt mit der insektoiden Seele vielleicht weniger fremdartig
vorkommen. Bestimmte Verarbeitungsprozesse können vorweggenom-

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werden, und ihre Fremdheit wird uns weniger verwirren. Es ist
sinnvoll einen Eindruck von dem zu haben, was uns erwarten wird.
Wie schon erwähnt, ist der Ursprung der Insekten wesentlich älter als der
der Säugetiere. Der Schnittpunkt einer gemeinsamen Entwicklungsgeschichte
– ein gemeinsamer Vorfahr – liegt sogar noch viel weiter zurück.
Es ist schwierig einen derartigen Zeitraum nachzuvollziehen.
KANNST DU ZURÜCKFINDEN, DORTHIN, WO DU NUR VON
WASSER UMGEBEN WARST? KANNST DU DICH ERINNERN,
WIE DU AUS DEM WASSER, DAS ÜBERALL GEWESEN IST,
DEINE KRAFT GESAUGT HAST? KANNST DU DICH ERINNERN,
WIE ES WAR, ALS DA NICHTS ALS DÜNNE HAUT GEWESEN IST
- UM DICH UND IN DIR? KANNST DU DICH ERINNERN WIE FEIN
DER UNTERSCHIED WAR, ZWISCHEN DIR UND DEM WASSER?
ERINNERST DU DICH AN DEN DRANG NACH BEWEGUNG? IST
ES WIRKLICH SCHON SO LANGE HER? ODER WAR ES
GESTERN?

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Die Insekten haben ihren ganz eigenen Weg eingeschlagen. In gewisser
Weise könnten sie unser Komplement sein. Fische und Seesterne sind
uns entwicklungsgeschichtlich jedenfalls bei weitem näher. Der
entscheidendste Schritt aus der Gemeinsamkeit war die Entwicklung des
Außenskeletts. So wie wir UM unsere Knochen leben, tun Insekten eben
das genaue Gegenteil. Diesen Unterschied nachzuvollziehen, ist das
wichtigste und wesentlichste unser Vorbereitungsarbeit. Jedes Wissen, das
uns hierfür dient, ist verwertbar. Wir
wissen etwas über den langen
Aufenthalt in geschlossenen Räumen.
Wir wissen etwas über den
Zusammenhang zwischen Nervenbahnen
und lebendem Gewebe.
Wir wissen etwas über Fixierung
und Konzentration. Im Vergleich
zu Insekten ist unser ganzer
Körper ein einziges Wahrnehmungsorgan.
Die Insekten sind mit
toter Materie umgeben. Nur
wenige Öffnungen führen in die
Außenwelt. Entsprechend intensiv
ist ihre Wahrnehmung. Entsprechend
angepaßt ist sie dem
Handlungsspektrum. Das Außenskelett
schützt das Insekt. Es
schützt vor der Außenwelt. Es
konzentriert das Wesen in seinem
Inneren. Es gibt wenig Gründe,
mehr wahrzunehmen, als absolut
notwendig ist. Denn aus Umweltveränderungen
lernt nicht das
Individuum, sondern die Art.
Die Entwicklungsgeschichte des Insekts verläuft nach bemerkenswert
anderem Schema als die des Menschen. Es gibt Insektenarten, die seit 100
Millionen Jahren unverändert existieren. Es gibt andere, die erst mit

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Entstehen der Menschheit hervorgegangen sind. Die einzelnen Arten
handeln nach gleichbleibenden Mustern. Wenn ein verändertes Handeln
sinnvoll wird, entsteht eine angepaßtere Art.
Bei Insekten sind die zeitlichen Abstände zwischen den Generationen
wesentlich kürzer als bei den Säugern. Gleichzeitig gibt es bei ihnen
eine viel größere Anzahl der Arten, und eine stärkere Ausbreitung auf
dem Planeten. Das wovor der Mensch seit jeher eine derartige Furcht
empfunden hat – der Tod – ist also für die Insekten wichtigster
Unterstützer ihrer Ausbreitung. Wo der Mensch sich durch seine Kultur
einen abstrakten Orientierungspunkt für seine Entwicklung zu konstruieren
versucht, schöpfen die Insekten diesen direkt aus dem Tod. Es
scheint zuweilen, als ob Insektenarten von unabhängigen Kräften geleitet
würden. Am deutlichsten ist dieses Bild bei staatenbildenden Gruppen.
Ähnlich sieht es unter Lebenwesen sonst nur in unseren Städten aus, und
wir erkennen bekannte Ordnungen wieder. Ordnung, von der wir
dachten, daß wir sie erfunden hätten. Bei allen anderen Arten, außer uns
selbst nennen wir diese Kräfte oft die "Kräfte der Natur". Doch genau
wie es in der Ordnung der Menschen Kräfte gibt, die man in der einen
oder anderen Form ansprechen kann, gibt es in der Ordnung der Insekten
dieselbe Möglichkeit Vermittler zu kontaktieren. Genau dies tun die
Insekten wahrscheinlich auf intensivste Weise.
Vielleicht ist hier eine Möglichkeit, etwas mehr über die Natur des
Insektoids zu erfahren. Es könnte sein, daß es uns ermöglichen will, den
Kontakt zu den Vermittlern der Insekten herzustellen. Unser Werkzeug
dazu ist unsere Seele, die im Unterschied zu der in einer ihrem Körper
ähnlich starren Schale lebenden Seele des Insekts wesentlich anpassungsfähiger
ist. Dei Möglichkeiten, die durch diesen Kontakt eröffnet
werden, beinhalten für den Menschen die Entwicklung eines Verhaltens,
das die Krise, in die unsere Rasse in kürze stürzen wird, bewältigen
helfen könnte.
Einfach dargestellt ist der Handlungsbezug der Insekten wesentlich
direkter als der der Menschen. Die Reflexion über die Handlung wird
vollständig aus den engen Grenzen der biologischen Existenz

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herausgehoben und in eine Ebene jenseits der Schwelle des physischen
Todes getragen.
Die Wahrnehmung des Insekts ist eng an Lebensfunktionen gebunden.
Der Spielraum, der dem Einzelwesen in seiner Orientierung bleibt, ist
verschwindend gering. Eine Möglichkeit des Menschen das Empfinden
einer solchen Situation nachzuvollziehen, sind seine Erfahrungen mit
Konzentration.
Wenn das Insektoid bei uns ist, und
wir uns stark zu konzentrieren
beginnen, können wir bemerken, daß
es uns näherkommt. Die Konzentration
muß im Alleinesein stattfinden.
Sie baut eine Verbindung zu
ihrem Objekt auf. Wir werden jedoch
erfahren, daß es nicht Konzentration
ist, was das Insekt empfindet und was
das Insektoid ausstrahlt.
Es ist mehr. Es ist ein Zusammenziehen der Aufmerksamkeit, die von
uns sonst nur in Krämpfen der Seele erlebt wird. Menschen, die diesen
Zustand einmal erlebt haben, sprechen von übermenschlichen oder
unmenschlichen Gefühlen (falls sie die Erfahrung nicht sofort wieder
verdrängen). Ein Anhalten des Krampfes wird von der menschlichen
Gesellschaft meist als Krankheit gewertet. Der Mensch beginnt dann
nämlich stark veränderte und an das (jetzige) Gemeinschaftswesen
schlecht angepaßte Verhaltensweisen zu zeigen. Sein Emotionnsspektrum
verschiebt sich. Seine Orientierung verändert sich. Sein Konzept von
Wirklichkeit wird für viele zu einem Wahngebilde.
Es ist zu diesem Zeitpunkt wenig
wünschenswert dauerhaft in einen
derartigen Zustand zu geraten. Trotzdem
ist er eine wesentliche Station
auf dem Weg zur Verständigung mit
dem Insektoid. Was erreicht werden
muß, ist kein unwillkürliches Zu-

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sammenkrampfen der menschlichen Aufmerksamkeit, sondern ein
allmähliches kontrolliertes Zusammenziehen, das aber bei weitem über
bloße Konzentration hinausgehen muß. Es muß ganz dem Ziel der
Verständigung untergeordnet sein. Erst wenn die Kommunikation
einmal aufgebaut worden ist, kann in Erwägung gezogen werden, dieses
Verhalten auch in den Alltag einfließen zu lassen. Denn erst in
Verbindung mit einem unabhängigen Bezugspunkt – dem Insektoiden
Bewußtsein – kann es einen Sinn bekommen.
Die feste Schale des Insektenkörpers konzentriert ein Wesen in seinem
Inneren. Sie konzentriert Energie. Sie macht den Austausch zwischen
Wesen und Außenwelt enger, direkter, intensiver. Sie macht den
Unterschied zwischen Innen und Außen deutlicher. Die Schale ist in
etwa 20 Glieder unterteilt. Sie werden von innerhalb sitzenden Muskeln
bewegt. Das Insekt hat sechs Beine. Oft hat es zwei oder manchmal vier
Flügel. Das Wesen in dem Knochenpanzer ist beweglich. Das Blut in
seinem Inneren fließt frei. Eine große Pumpe, die sich durch den ganzen
Körper zieht, verteilt das Blut. Durch ein Filtersystem an Öffnungen im
Panzer wird die Luft hereingelassen. Diese Wesen haben sich auf der
ganzen Erde ausgebreitet. Ihr Vorgehen ist eine möglichst einfache und
möglichst rasche Anpassung an alle Lebensumstände. Wie genau diese
Anpassung vonstattengeht, ist den Menschen noch weitgehend unklar.

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Man weiß einiges. Man glaubt etwas zu wissen. Man hat Theorien
entwickelt, und wir glauben diesen Theorien. Es bleibt bemerkenswert,
daß keine andere Art, weder Reptilien, Krustentiere oder Säuger, in einer
derart konstanten Präsenz auf diesem Planeten ansäßig sind. Dem
Menschen, der sich als das wissendste aller Tiere glaubt, ist es
gelungen, fast alle anderen Arten weitgehend zu vernichten. Das Insekt
hat diesen Versuchen bis heute widerstanden. Die Menschen wissen
eigentlich nicht warum. Sie glauben es zu wissen. Sie werden es nicht
wissen, bis sie ihren Standpunkt aufgegeben und sich grundlegend
verändert haben.
In gewisser Weise hat der Mensch aber tatsächlich schon lange den
insektoiden Weg eingeschlagen. Viele Merkmale der zivilisierten
Gesellschaften scheinen direkt von den Insektenstaaten – die wesentlich
älter sind – übernommen worden zu sein. So werden z.B. Insektenstaaten
durch hormonartige Duftstoffe (sogenannte Pheromone), auf die jedes
Einzelwesen reagiert, kontrolliert. Bei uns nehmen diese Rolle das Geld
und die Gesetze der Wirtschaft ein. Das Funktionieren des Systems ist
jedoch bei den Insekten weit weniger unzyklischeren Veränderungen
unterworfen und wirkt viel eingespielter und rationeller als das der
Menschen. Auch gibt es bei ihnen innerhalb der Art funktional
unterschiedliche Individuen. Der Körperbau ist der Spezialisierung
angepaßt. Auch der Mensch hat seit einigen Jahrtausenden damit
begonnen, seine Gesellschaft auf spezialisierte Schichten von
Angehörigen aufzubauen. Worin er sich aber von allen anderen
Lebewesen grundsätzlich unterscheidet, ist sein Bestreben, sich vor allen
Umweltgefahren unbedingt zu schützen. Jede andere Art tut das nur
soweit, wie es den Erhalt der eigenen Spezies sichert.
Was dem Menschen gefährlich erscheint, ist oft nur etwas, das ihn
weiterentwickeln könnte. Vermeidet er diese Gefahr, wird er als Spezies
diffus und bleibt lediglich auf das Vermeiden von Umweltkontakt
ausgerichtet. Natürlich werden durch diesen Kontakt immer Menschen
sterben. Doch eine andere Entwicklungsmöglichkeit gibt es für die
Menschheit nicht. Sie kann sich nicht sämtliche Lebensbedingungen
selbst schaffen. In gewisser Weise ist der Mensch das unperfekteste aller

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Lebewesen. Seine Methode der Kulturschöpfung als Kompensation für
seine Machtlosigkeit im natürlichen System zeugt von einem Mangel an
Verständnisfähigkeit. Schon immer hat er jedoch auch versucht, diesen
Mangel durch Naturbeobachtungen auszugleichen. Die Verbindung zum
Insektoid wäre die aktuellste Form dieser Anpassung.

III
Du findest das Insektoid, wenn du alleine bist. Du findest das Insektoid,
wenn du zur Ruhe kommst. Du findest das Insektoid, wenn du aufgehört
hast, nach dem Menschen zu suchen. Es tritt aus der Stille und zeigt sich
dir. Es hat eine klare Botschaft. Du mußt dich verändern, um diese
Botschaft zu verstehen. Du mußt dich mit einer anderen Lebensform
auseinandersetzen, wenn du die Botschaft verstehen willst. Du mußt von
den Insekten lernen.
Wenn du Kontakt aufgenommen
hast, wird dir das Insektoid folgen. Es
wird Spuren auslegen. Wenn du
weitergehen wirst, wirst du die
Spuren finden. Das Insektoid wird sie
vor dir auslegen. Du wirst den
Spuren folgen. Du wirst eine Fliege
sehen, die um eine Glühbirne kreist.
Du wirst erkennen, wie die Menschen
auf den Straßen bestimmten Leitlinien
folgen. Du wirst die Wege der
Menschen verstehen lernen. Da wird
ein ganz eigener Weg für dich zu
sehen sein. Du wirst den Insekten
begegnen. Du wirst sie in der Kultur der Menschen finden. Auf
Abbildungen. In der Musik. In den Organisationsformen der Menschen.
Du wirst ihren Einfluß spüren. Ihre Energie wird an dich herantreten,
und du wirst lernen mit ihr umzugehen. Dein Verhalten gegenüber den

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Menschen wird sich verändern. Dein Verhalten gegenüber allen Wesen
wird sich verändern. Dein Verhalten gegenüber dir selbst wird anders
werden. Du wirst die Bestätigung des insektoiden Weges immer
deutlicher sehen. Die Zeichen werden klarer werden. Über all dem steht
das Insektoid. Irgendwann wirst du seine Stimme hören. Irgendwann
wirst du seinen Duft riechen. Irgendwann wirst du an seinen Gedanken
teilhaben. Du findest das Insektoid, wenn du alleine bist, und
irgendwann wirst du nicht mehr alleine, sondern mit dem Insektoid sein.
Ameisen werden über deinen Tisch laufen. Fliegen werden an der Decke
deines Zimmers sitzen. Falter werden von draußen durch das Fenster
kommen. Du wirst den Blick des Insektoiden auch in Menschen sehen.
Du wirst dich mit ihnen über das Insektoid verständigen können. Du
wirst damit beginnen, seine Botschaft weiterzutragen, und über allem
wird das Bild des Insektoid stehen.
Es gibt Insekten, die unter der Erde leben. Einige fliegen in der Luft.
Einige wohnen in Bäumen. Andere laufen über das Wasser. Es gibt
Raubinsekten. Es gibt welche, die sich von deinem Blut ernähren. Viele
Pflanzen vermehren sich nur mit Hilfe der Insekten. Und irgendwo gibt
es auch etwas insektenhaftes, das einen ganz persönlichen Bezug zu den
Menschen hat.

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Viele Fliegen existieren nur duch den Menschen. Ebenso einige Flöhe
und Käfer. Bald wird es etwas aus der Welt der Insekten geben, von dem
unsere Existenz abhängen wird. Dieses Wesen wird sich in einem
Bereich etablieren, den wir so lange als uns alleine zugehörig angesehen
haben. Wenn wir das Insektoid im seelisch-geistigen Raum kontaktieren,
wird es nötig werden, unsere Arroganz zu überwinden. Wir werden nicht
mehr alleine sein. Wir werden vielleicht nur noch in dieser Verbindung
existieren.

IV
Können wir lernen, unsere Angst vor den Insekten zu verlieren? Können
wir es akzeptieren, unsere Bestrebung der Herrschaft über alle anderen
Lebewesen aufzugeben? Können wir uns darauf vorbereiten, uns in ein
Organ des Insektoids zu verwandeln? Es ist uns nur möglich, unsere
Individualität zugunsten einer Teilnahme an einer größeren Verbindung
aufzugeben, wenn wir Einsicht in ihre Existenz erhalten. Das kann nur
im Alleinesein geschehen. Zieh dich zurück vom Menschsein! Finde das
Insektoid! Schau es an! Lerne es zu verstehen! Hör ihm zu! Sprich mit
ihm, wenn du gelernt hast, wie du dich verständigst! Kein Mensch kann
dich das lehren. Nur das Insektoid und die Insekten sind dazu in der
Lage. Gib deinen Widerstand auf. Gib deine Angst auf. Spüre, was
hinter dieser Angst liegt. Geh auf das Insektoid zu. Lerne seine
Anwesenheit wahrzunehmen. Schau es dir an. Und du bist schon auf
dem Weg.

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SCHABEN SIND EURE GÖTTER
SCHABEN SIND EURE GÖTTER. IHR SEID SCHWACH. IHR
SOLLTET SIE ANBETEN. SIE SIND EINE VOLLKOMMENERE
LEBENSFORM, ALS IHR ES SEID.
IHR SEID VERDORBEN, IHR MIT EUREN IDIOTISCHEN
WEHWEHCHEN. IHR HABT PSYCHIATER, BERUHIGUNGSMITTEL,
IHR BRAUCHT URLAUB, IHR FANGT KRIEGE AN, IHR
BEGEHT SELBSTMORD, IHR STEHLT, IHR LÜGT, IHR BETRÜGT,
IHR SEID SCHWACH.
IHR SEID UNFÄHIG ZU ÜBERLEBEN. IHR SEID ZU SEHR DAMIT
BESCHÄFTIGT, UM EUER GROSSES HIRN ZU KREISEN. IHR
MÜSST GEFÄNGNISSE BAUEN, UM EURE MITMENSCHEN
DARAN ZU HINDERN, EUCH UMZUBRINGEN!
IHR BRINGT ALLES UM. IHR LEBT IN ANGST. IHR KÖNNTET
NIEMALS MIT DER EINFACHHEIT UND SCHÖNHEIT DER
KÜCHENSCHABE LEBEN. IHR HABT ABTREIBUNG. IHR
BESCHÄFTIGT EUCH MIT BEDEUTUNGSLOSEN DINGEN. IHR
SEID SCHWACH, SCHABEN SIND EURE GÖTTER. IHR SEID
NOCH NICHT EINMAL SOWEIT, DASS IHR DIE WEICHEN
BAUCHSEGMENTE DER MUTTERSCHABE KÜSSEN KÖNNTET.
SIE STOSSEN EUCH AB. IHR FÜRCHTET SIE. VON IHNEN GIBT
ES MEHR ALS VON EUCH. IHR WINDET EUCH BEI IHREM
BLOSSEN ANBLICK. SIE MACHEN EUCH KRANK. IHR SEID
SCHWACH. SCHABEN SIND EURE GÖTTER.

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ÜBERLASST IHNEN EURE MAHLZEIT. OB IHR ES TUT ODER
NICHT, SIE WERDEN EUCH UND EURE DUMMHEIT ÜBERLEBEN.
IHR VERSUCHT, SIE MIT GAS UND GIFT UMZUBRINGEN,
GENAUSO WIE IHR ES MIT EURESGLEICHEN
MACHT. DIE SCHABE KEHRT ZURÜCK. STÄRKER. SCHNELLER.
IMMUNISIERTER.
IHR SCHAUT FERNSEHEN. IHR VERSCHLIESST EURE TÜREN,
UM EUCH GEGEN EURE EIGENE ART ZU SCHÜTZEN. IHR
STECKT EUCH NADELN IN DIE ARME. IHR VERKAUFT EURE
KÖRPER. IHR ERFINDET NEUE UND AUSGEFALLENE WEGE,
EUCH UND ANDERE ZU VERSTÜMMELN. IHR SEID SCHWACH.
SCHABEN SIND EURE GÖTTER.
(HENRY ROLLINS)

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INSEKTOID
In der Schale.
Im Panzer.
In der Hülle.
Ein Schweigen von Wand zu Wand.
Eine Stille im engen Raum.
Eng.
So eng.
Was ist draußen?
Wo ist draußen?
Ein Zittern geht durch den Raum.
Wohin?
Nach draußen!
Nach draußen!

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Mensch, du in der dünnen Haut. Wohin treibt es dich? Wohin
geht dein Sehnen? Die Sonne, die Nacht, so dicht auf deiner
Haut, so nahe an dir. Kannst du denn noch etwas finden, der du
alles so dicht bei dir hast? Oder hast du die Richtung verloren,
weil es für dich so wenig draußen gibt? Und was du Innen hast,
das wirfst du hinaus, um endlich Außen in deinem Inneren zu
leben. Mensch, du, der sich selbst erzeugt: ein Bild von dem,
was Mensch ist, weil du den Menschen nicht mehr finden kannst …
weil du ihn durch die Poren in das Nichts zerfließen ließest.
Doch sieh nun, wie das Bild dem Wesen folgt. Sieh nun, was es
erlebt auf seiner Reise. Sieh, was übrigbleiben wird, wenn du
zerflossen bist.
Bist du dem Tier begegnet, mit
Krallen, scharem Zahn und
Fell? Bist du der Schlange begegnet,
mit feuchter schuppiger
Haut? Du fließt weiter, du fließt
tiefer in das Nichts des Neuen.
Haben die Tiere an deinem
Fleisch genagt? Erfahre, wie du
langsam zerfällst, während du tiefer fließt. Erfahre, daß es nicht
der Tod ist, der dich zerlegt. Erfahre das Leben, wie es dich
zerteilt und weiterträgt – bis zur Unerkennbarkeit.
Sind Menschen gekommen und haben dich mit Erde zugedeckt?
Dort unten nagt der Käfer an deinen Knochen. Dort unten wirst
du die Ameise treffen. Und die Larven in deinem Fleisch. Dort
unten sind keine Menschen mehr. Dort unten im Tunnel erwartet
mit harter Haut und großem Auge das Insekt.
Übergib dich nun. Lass' es nun dein Lehrer sein. Es wird in dich
eindringen. Es wird an dir saugen. Es wird dich ausfüllen. Es
wird dich aufnehmen. Es wird überall sein.

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ANFANG
VOM WASSER UMGEBEN. DER STRÖMUNG AUSGELIEFERT.
GEGEN DAS LAND GETRIEBEN. GEGEN DIE
FELSEN GETRIEBEN. ANDEREN, DIE IM WASSER SIND,
AUSGELIEFERT.
EINE HÜLLE BILDEN. EINEN PANZER BILDEN. GLIEDER,
UM DER STRÖMUNG ZU ENTGEHEN.
DURCH DAS WASSER GLEITEN. ANDERE, DIE OHNE
SCHALE IM WASSER LEBEN, JAGEN UND VERZEHREN.
AUF DEM MEERESBODEN KRIECHEN, IM SAND NACH
NAHRUNG SUCHEN.
DUCH DEN SCHLAMM DER KÜSTE KRIECHEN. MEHR
NAHRUNG FINDEN. DIE LUFT DURCH DEN PANZER
LASSEN. NEUE ÖFFNUNGEN. GLIEDER ENTWICKELN. AN
DAS LAND KRIECHEN. ATMEN. SICH AUSBREITEN.
IMMER NEUE ORTE FINDEN. SCHNELLER SICH IN
PFLANZEN BOHREN. AUF BÄUME KLETTERN. VON DEN
BÄUMEN GLEITEN. WEITER . MIT NEUEN GLIEDERN
ÜBER DAS LAND FLIEGEN. ZU DEN ENTFERNTESTEN
ORTEN. WEITER. SCHNELLER. VON GENERATION ZU
GENERATION.

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RICHTUNG
Die Sonne, der Mond und die Sterne sind besonders gute
Navigationspunkte, da sie eine große Entfernung besitzen, und das
Insekt einen konstanten Orientierungswinkel aufrechterhalten und sich
für lange Zeit in gerader Linie bewegen kann. Wenn die Lichtquelle nah
ist, ändert sich der Erscheinungswinkel auf der Retina, sobald das
Insekt auch nur eine kurze Strecke zurücklegt. Das Insekt kann seine
diagonale Orientierung nur dann aufrechterhalten, wenn es sich
ständig zur Lichtquelle hin wendet. Dies führt das Insekt auf einen
Spiralkurs, der schliesslich in der Lichtquelle endet. Deshalb fliegen
Motten in die Kerzenflamme.
Doch vielleicht zeigen sie auch nur ein Verhalten, das an entfernte
Lichtquellen angepasst ist.
(MICHAEL D. ATKINS)

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LUST
ETWAS LIEGT IN DER LUFT.
DEN KOPF HEBEN.
DIE FÜHLER DURCH DIE LUFT KREISEN LASSEN.
ETWAS DRINGT IN DEN PANZER UND WIRD ZU
KLARHEIT.
ES IST EINE SPUR. ES IST EINE BOTSCHAFT. ES IST EIN
VERLANGEN.
DIE BEINE BEWEGEN SICH. DIE FLÜGEL SCHWIRREN
DURCH DIE LUFT, FOLGEN DER SPUR. BIS DAS ANDERE
WESEN GEFUNDEN IST.
KEIN INNEHALTEN.
ANTWORT GEBEN.
DIE ANTWORT, DASS DIE BOTSCHAFT VERSTANDEN
WURDE UND DASS ES GUT IST - DASS ES GESCHEHEN
MUSS.

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DIE FRAGE DES ANDEREN WESENS BEANTWORTEN.
ZEIGEN, DASS DIE BOTSCHAFT VERSTANDEN WURDE.
BIS ES GETAN IST.
BIS DER DRANG,
DER WILLE ZU LEBEN,
WEITERGEGEBEN IST
– AN ANDERE GENERATIONEN.

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TRAUM
IN EINER ART DELIRIUM TRÄUMTE ICH, DASS ICH MIT EINER
WEIBLICHEN KAKERLAKE IN DER GRÖSSE EINER FRAU
ZUSAMMENKAM.
SIE LÄCHELTE UND FORDERTE MICH AUF NÄHER ZU
KOMMEN. SIE KÜSSTE MICH. DAS GEFÜHL IHRER
[[Bauchschuppen|BAUCHSCHUPPEN AN MEINEM FLEISCH LIESS MICH ZUCKEN
UND SCHWITZEN.
WIR LIEBTEN UNS. SIE SCHLANG
IHRE SECHS BEINE UM MEINEN
RÜCKEN UND ZOG MICH HERAN.
IHRE ANTENNEN PEITSCHTEN
AUF MEINEN RÜCKEN.
KEINE FRAU LIESS MICH JEMALS
SO FÜHLEN, NIEMALS!
AM MORGEN WAR ICH BEDECKT
MIT SCHWEISS, BLUT UND STINKENDEM
GELBGRÜNEM SCHLEIM.
SIE GEBAR MEINE KINDER
(ZWANZIG AN DER ZAHL). SIE
WAREN HALB MENSCHLICH,
KONNTEN SICH IN WOCHEN UND
NICHT JAHREN VERMEHREN UND
SECHSMAL SCHWERERES ALS
IHR EIGENES KÖRPERGEWICHT
ANHEBEN.
WIR ZEUGEN IN DEN STRASSEN,
IN DER KANALISATION, IN HINTERZIMMERN
UND PUFFS. NICHT
EIN TAG VERGEHT, AN DEM
MEINE KINDER NICHT STÄRKER
UND GRÖSSER WERDEN. WIR SIND
ÜBERALL.

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IHR VERSUCHT UNS ZU
TÖTEN, MIT FALLEN UND
GIFT. DOCH DAS IST NUR EIN
KLEINER APPETITHAPPEN
FÜR UNS. IHR WERDET DIE
WELT NIEMALS VON UNS
BEFREIEN. IHR WERDET ZEUGEN
DER ZERSTÖRUNG EURER
WELT. IHR WERDET
UNTERGEHEN.
(HENRY ROLLINS)

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BEWEGUNG
Sechs Beine. Flügel. Muskeln im Inneren.
Kraft. Die Sonne treibt die Bewegung an. Die
Flügel ausbreiten und nach der Sonne fliegen.
Nach dem Licht. Die Beine finden festen Halt
am Boden. Über die Erde kriechen.
Von Nahrung, zu Nahrung.
Von Nahrung zum schützenden Bau.
Vom Bau in die Luft, um sich auszubreiten. Um sich zu
vermehren.
Schlag es!
Tritt es!
Es stemmt sich vom Boden und läuft weiter.
Zerquetsche seinen Körper!
Reiß ihm zwei Beine aus!
Es kriecht weiter, bis es keine Kraft mehr hat, bis alles zu Ende
ist.
Bis es von anderen gefressen wird.

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BAU
Die am höchsten entwickelten Strukturen der Insekten sind die Nester
einiger staatenbildenden Arten.
Das Nest der Holztermite besteht nur aus einem Tunnelsystem.
Doch die pilzkultivierenden Termiten beispielsweise bilden ein Nest aus
Erde, Speichel und Kot.
Die riesigen Hügel der tropischen
Termiten weisen unterschiedliche
Formen auf, die für die einzelnen
Arten durchaus charakteristisch
sind. Zusätzlich zur Schutzfunktion
haben die entsprechend konzipierten
Termitenbauten ein gut reguliertes
Mikroklima. Amitermes orientieren
ihre Nester so, daß sie morgens und
abends möglichst viel Wärme durch
die Sonneneinstrahlung aufnehmen
können. Bei den pilzkultivierenden
Macrotermes ist die Klimaregelung
im Bau am höchsten entwickelt.
Diese Insekten bauen eine Reihe von
Gängen, durch die die Luft ihrer
Dichte entsprechend einströmt und so
ihre Temperatur und ihren Kohlendioxidgehalt
optimal zum Pilzanbau
in den Zuchtkammern geeignet ist.
Die Nester von Ameisen können sehr unterschiedlich sein, in ihren
Standorten wie in ihrem Aufbau. Wie dem auch sei, die Arten, die größere
Kolonien bilden halten sich für gewöhnlich im Erdboden, entweder unter
einem Felsen, der teilweise im Boden eingebettet ist, oder, unter einem

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Cubitermes fungifaber aus Afrika
baut pilzförmige Nester, die frei
neben Baumstämmen stehen und
etwa 60 cm hoch werden.
Haufen pflanzlicher Überreste auf. Der Boden stellt einen wirksamen Puffer
gegen starke Änderungen der Temperatur und der Feuchtigkeit dar. Ein
Felsblock, der teilweise von Erdboden bedeckt ist, dient als wirksame Hilfe
zur Thermoregulation, genau so wie die jahreszeitlich variierende Tiefe der
Brutkammern im von Erdboden umgebenen Nest. Die fortschrittlichste
Kontrolle des Mikroklimas wird von hügelbildenden Arten erreicht. Obwohl
diese Ameisen vermutlich nicht über eine solche "Klimaanlage" wie die
vorhin erwähnten Termiten verfügen, sind die Ameisenhügel doch mehr als
eine nur zufällige Anhäufung biologischen Materials. Das Hügelmaterial
hat oft eine andere Oberflächenstruktur und einen höheren Anteil
organischer Stoffe als der ihn umgebende Boden. Die Oberfläche ist mit
einer speziellen Ausscheidung versehen, die womöglich vor Spritzwasser
schützt und das Absorptionsvermögen für Sonneneinstrahlung erhöht.
(Michael D. Atkins)

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Schematischer Schnitt durch einen
3 m hohen Bau von Bellicositermes
nutalensis aus dem tropischen Afrika.
Außen befindet sich ein dicker
gemauerter Mantel (1) mit Luftkanälen
(2). An diesem ist an Lamellen
(3) das Nest aufgehängt.
Eingezeichnet sind: Königinzelle
(4), Pilzgärten (5), Lager zernagter
Holzspäne (6) und die unterirdisch
zuführenden Gänge (7).

TERMITEN
Wenn die Soldaten der Termiten ausgewachsen sind, beginnen sie sofort
höchst komplizierte Bauten auszuführen, Zellen, Gänge, Wasserleitungen,
und über das Ganze decken sie eine Kruste, die mannigfache Bogenformen
aufzuweisen hat. Man kann mit einer stählernen Platte einen Termitenhügel
derart teilen, daß zwischen den Termiten auf beiden Seiten der Platte jeder
Verkehr unterbunden wird. Trotzdem bauen sie auf der einen Seite genau
dieselbe Bogenform wie auf der anderen, nur fällt der Bogen unter
Umständen niedriger aus. Das auf die Oberfläche des Hügels scheinende
Licht empfinden sie durch die Kruste hindurch, die manchmal eine Dicke
von fast einem halben Meter erreicht. Mit Hilfe von Grashalmen und Holz
bauen sie Bögen durch die freie Luft. Sie stehlen Eier aus anderen
Termitenhügeln, tragen sie in die Brutkammer und pflegen sie dort. Sie
sorgen für die Larven und füttern sie. Sie legen Gärten an und bepflanzen
vertrocknete Gärten von neuem.
Die Termiten graben tiefe Bohrlöcher, um Wasser zu finden, und von diesen
Quellen aus wird es für allgemeine Zwecke heraufbefördert. Wenn ein
Termitenhügel aufgebrochen wird, erscheinen als erstes die Soldaten und
untersuchen den Schaden eingehend von allen Seiten. Wenn keine Arbeiter
oder nur wenige bie der Hand sind, geben die Soldaten ihr Signal. Durch
schnelles Bewegen der Halsplatten an ihrem Panzer bringen sie einen Ton
hervor, ein schnelles Tik-Tik-Tik. In den Häusern, die von Termiten heimgesucht
worden sind, hört man des Nachts diesen Ton aus allen Richtungen. Durch

– 31 –


dieses Signal rufen die Soldaten die Arbeiter an die angegriffene Stelle,
aber derselbe Ton dient auch als Nahrungssignal. Dieser Ruf wirkt so
alarmierend, daß selbst Arbeiter, die mit irgendwelchen besonderen
Aufgaben beschäftigt sind, z.B. mit Wasserholen oder Larventragen, Gartenarbeit
oder Fütterung des königliches Paares, alles stehen und liegen
lassen und sich zu dem Platz drängen, von dem das Alarmsignal ausgesendet
wird.
Das Verhalten der Termiten entspricht
in jeder Hinsicht den Funktionen der
Blutkörperchen bei den höheren
Tieren. Genauso wie die weißen Blutkörperchen
einen Ring um die Wunde
bilden, die von den roten Körperchen
geheilt wird, schließen sich die Soldaten
zu einem schützenden Kreis
zusammen, während das Loch von den
Arbeitern wieder zugemauert wird.
Wenn du einen der Soldaten mit
irgendeinem scharfen Gegenstand,
etwa einer Nadel, reizt, so verfällt er
in eine Art Krampf. Sein Körper wird
ruckartig hin und her geschleudert und
aus seiner tubenförmigen Waffe wird
ein Tropfen klarer, klebriger
Flüssigkeit in die Richtung, aus der die
Gefahr droht, herausgespritzt. Kleinere
Insekten scheint diese Flüssigkeit
heftigen Schmerz zu verursachen; sie
klebt ihren Kiefer und Beine
zusammen.
Die Bewohner zweier Termitenhügel, die etwa einen Meter voneinander
entfernt liegen, vermischen sich unbekümmert, und ohne miteinander zu
kämpfen. Lege ein Stück Holz genau in die Mitte zwischen beide und
besprenge die Umgebung mit Wasser, so wirst du nach dem Aufdecken ihrer

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Im Darm der Termiten leben einzellige Geißeltierchen
(Flagellaten), die die aufgenommene Zellulose zu Traubenzucker
abbauen.
Gänge bemerken, daß die Insassen beider Nester das Stück Holz in Angriff
nehmen. Du kannst auch Arbeiter und Soldaten aus beiden Nestern
miteinander austauschen udn wirst doch niemals bemerken, daß sie sich
gegenseitig angreifen. Wenn du dagegen das Experiment mit zwei
Termitenhügeln durchführst, die zwanzig oder dreißig Meter voneinander
entfernt sind, dann werden die Fremden sofort überwältigt und getötet.
Vernichtest du die Königin in einem der beiden nahe beieinander gelegenen
Bauten, so stellen die Termiten, die ihre Königin verloren haben, ihre Arbeit
ein, und wandern in das benachbarte Nest aus. Ist aber der nächste
Termitenhügel weiter entfernt, so machen die verwaisten Termiten keinen
Versuch, in den anderen überzusiedeln, sondern gehen in ihrem alten Heim
zugrunde.
Der Grund für dies verschiedene Verhalten scheint mir folgender zu sein:
Die geheimnisvolle Macht, die von der Königin ausgeht, wirkt nur innerhalb
eines begrenzten Raumes. Jede einzelne Termite steht unter ihrem Einfluß.
Lieben nun zwei Termitenhügel nahe beieinander, so erstreckt sich die
Macht der Königin auf die Insassen beider Nester. Dieselbe psychische
Kraft der Königin bewirkt auch, daß die aus einem und demselben Nest
stammenden Termiten sich gegenseitig erkennen und sofort merken, wenn
ein Fremder bei ihnen eindringt.
Die Königin ist also der psychische Mittelpunkt ihres ganzen Staates, das
Gehirn des Organismus, den wir "Termitenhügel" nennen, der Ursprung
aller gemeinschaftlichen Tätigkeit der Soldaten und Arbeiter. Genau wie
unser Gehirn die Funktion der Blutkörperchen beherrscht und dieses
Gesamttier, das wir unseren Körper nennen, in Ordnung hält, so geht von
diesem formlosen, bewegungslosen Gegenstand, der in ein enges Gewölbe
eingesperrt ist, eine Macht aus, die alle Bewegungen des zusammengesetzten
Tieres, Termitenhügel genannt, lenkt.
(Eugene N. Marais)

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IM BAU
GEWIMMEL. UNZÄHLIGE GERÄUSCHE UND GERÜCHE.
UNZÄHLIGE ANDERE WESEN IN BEWEGUNG.
ALLE AUF DEM WEG. ALLE IN BESCHÄFTIGUNG.
DER SPUR FOLGEN.
IRGENDWO IM BAU IST ETWAS, DAS DIE SPUR LEGT.
DER SPUR FOLGEN.
IRGENDWO IM BAU IST DER GRUND FÜR DIESE SPUR.
DER SPUR FOLGEN.
IRGENDWO IM BAU IST DAS WICHTIGSTE.
WEITERLAUFEN BIS ES NICHT MEHR GEHT.
WEITERLAUFEN BIS DIE SPUR ABBRICHT.
EIN WESEN IM BAU HÄLT INNE.
ES HEBT DEN KOPF UND STRECKT DIE FÜHLER DEM HIMMEL ENTGEGEN.

– 34 –

HEUSCHRECKEN
Die in Einzelfällen 100 Milliarden Exemplare zählenden bis zu 80000 t
schweren Schwärme der Wanderheuschrecken können maximal eine
Ausdehnung von 210 km Länge und 20 km durchschnittlicher Breite
(4200 km²) erreichen. Weil sie plötzlich in einen Landstrich einfielen,
alles Grüne vernichteten und nicht wirksam zu bekämpfen waren,
fürchtete sie der Mensch, siet er begann Pflanzen anzubauen, und setzte
sich mit Pest und Krieg gleich. Die Vernichtung seiner Kulturen brachte
Hunger, Not, Krankheit und Tod. Es verwundert uns deshalb nicht, wenn
wir schon in den ersten schriftlichen Überlieferungen von
Wanderheuschrecken lesen:
"Mose reckte seinen Stab über Ägypten, und der Herr trieb einen
Ostwind ins Land den ganzen Tag und die ganze Nacht; und des
Morgens führte der Ostwind die Heuschrecken her. Sie kamen über das
ganze Ägypten und ließen sich allerorts in solcher Anzahl nieder, wie
sie nie vorher gesehen wurde und nie in Zukunft gesehen wird. Denn sie
bedeckten das Land und verfinsterten es. Und sie fraßen alles Kraut im
Lande auf und alle Früchte auf den Bäumen, die der Hagel
übriggelassen hatte, und ließen nichts Grünes übrig an den Bäumen
und am Kraut auf dem Felde in ganz Ägypten." (Mose 2)

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LARVE
Es ist hart, eine Larve zu sein. Zuerst ist da gar nichts. Und dann
wächst aus dem nichts ganz langsam und stufenweise ein
unbestimmtes Bewußtsein heran. Die Wahrnehmung der Welt
stellt sich nicht als ein Schock ein, sondern als eine graue
Unvermeidlichkeit. Die Larve kann sich nicht bewegen, kann
nicht sprechen. Aber denken kann sie.
Seine ersten Erinnerungen befaßten sich ganz natürlich mit dem
Pflegehort: einer kühlen, schwach beleuchteten Kammer
kontrollierter Bewegung und beträchtlichen Lärms. Unter der
sanft gewölbten Decke unterhielten sich Erwachsene mit seinen
Mitlarven. Und mit der Wahrnehmung seiner Umgebung stellte
sich das Erkennen des Ichs und eines Körpers ein: einer
knotigen, eineinhalb Meter langen zylindrischen Masse aus
fleckigweißem Fleisch.
Durch einfache, noch nicht vollkommene Larvenaugen nahm er
hungrig die beschränkte Welt in sich auf. Erwachsene, Geräte,
Wände, Decke und Boden. Seine Gefährten, die Krippe, in der er
lag. Und alles das war weiß und schwarz oder ein Grauton
dazwischen. Das war alles, was er wahrnehmen konnte.
(Alan Dean Foster)

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DIE FLIEGE
Die Hügel hatten sich geglättet. Strohig-gelbe Ebenen, Ölbäume in
Gruppen, ohne Ordnung, brutale, sandsteingelbe großhornige
Rinderherden. Eine endlose Scheibe, die sich dreht. Die Straße war
verschwunden. Der Wagen funktionierte nicht mehr. Er löste sich auf.
Enrique saß auf einem flachen Felsen. Er schlug die Beine
übereinander und steckte eine Zigarette an. Um uns Rinder. Ich stand
nervös. Ich hatte Angst. Die kleine Erhöhung, auf der wir uns befanden,
der Mittelpunkt der Drehscheibe, die Sonne im Zenit, die Hitze wieder
unerträglich. Enrique schlug die Beine übereinander und rauchte. Ein
Stier kam auf mich zu und schaute mich an. Er sah mir ins Auge. Eine
Fliege kroch dem Stier ins Auge. Enrique steckte eine Zigarette an und
schlug die Beine übereinander. Ein Horn des Stiers glänzte
unregelmäßig. Die Sonne stand im zenit. Eine Fliege kroch dem Stier
auf die Augenbraue. Der Stier blinzelte. Sein Blick war traurig. Die
Scheibe drehte sich: – im Uhrzeigersinn – Olivenhain, strohige Ebene,
Herden. Enrique saß auf einem Stein und rauchte mit übereinandergeschlagenen
Beinen. Er hatte braune Augen. Sein Blick war ernst. Hatte
er nicht blaue Augen gehabt bei unserer ersten Begegnung? Das Auge
des Stiers war schwarz. Die Fliege im Auge des Stiers war schwarz,
aber sie sah nicht schwarz aus, sie hatte keine Farbe oder jede nur
fühlbare Farbe. Die Sonne war weiß und bedeckte die Ölbäume, die
strohige Ebene, die Herden, meinen Körper und selbst Enriques braune
Augen mit diesem Weiß. Nur das schwarze Auge des Stiers bedeckte sie
nciht und auch nicht die Fliege, die sich zwischen den Winkeln des
Auges und der Braue bewegte. Das Auge des Stiers blickte mich an,
oder, es blickte nur innerhalb eines endlosen Meeres der Weiße, in dem
auch ich versunken war. Aber das Auge des Stiers sah mich auch, wenn
ich nicht mehr existierte. Der Blick des Stiers war traurig.
Die Fliege liebte den Stier, sie liebte sein Auge. Seit Jahrzehnten
versuchte sie in diesem Auge zu leben, mit dem Stier zusammen zu
leben. Sie wußte, daß sie mit ihm zusammenleben konnte. Es war ein
Handel möglich, der ihrer Liebe Substanz verlieh. Sie saugte die

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Tränen des Stieres auf und ernährte
sich davon. Das Saugen stimulierte
die Pupille des Stieres und gab ihm
die Kraft, das Weiß, das die Sonne
verstreute, zu durchdringen, die
Dinge zu sehen, und nicht zu
versinken. Die Fliege wußte, daß
ihre Liebe einmal erfüllt sein konnte,
sie war es noch nicht, aber das war
nur wegen der ungünstigen Umstände
so – einmal, wußte die Fliege,
würde sie in Harmonie im Auge des
Stieres leben, seine Tränen saugen
und seine Sehfähigkeit stimulieren.
Einmal, wußte sie, würde der Stier
ihre Liebe erwiedern, wenn nicht
weil sie ihm die Fähigkeit verlieh zu
sehen im gleichgültigen Weiß der
Zenitsonne, so doch weil sie seine
Tränen aufsaugte. Weil sie ein
Wesen war, das sich von seinen
Tränen ernähren konnte.
(Phillip Spistler)

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Schmeißfliege Grüne Schmeißfliege
DIE KÖNIGIN
Die Königin war ungeheuer groß. Ihr Körper lag in Ost-West-Richtung mit
dem Kopf nach Westen. Der König hatte nur die Größe einer gewöhnlichen
Termite und hielt sich beständig entweder auf ihrem gigantischen Körper
oder in seiner unmittelbaren Nachbarschaft auf. An seinem Verhalten war
nichts zu bemerken, das auf seine Funktion hätte schließen lassen.
Eine große Menge von Arbeitern der
kleineren Sorte machte sich
unaufhörlich auf dem Körper der
Königin oder um sie herum zu
schaffen. Unmittelbar vor ihrem
Kopf war eine kleine Öffnung in der
Zellwand, die aber viel zu klein war,
um die Königin hindurchzulassen.
Zwei Ströme von Arbeitern bewegten
sich durch diese Tür ständig hin und
her , der eine hinausgehend, der
andere hereinkommend. Wir stellten
bald fest, daß diese Arbeiter mit drei
verschiedenen Aufgaben beschäftigt
waren:
1. Der eine Strom fütterte die Königin. Jeder einzelne Arbeiter kam nahe an
ihren Kopf heran, reckte sich etwas, um ihren Mund erreichen zu können,
und unmittelbar darauf erschien ein Tropfen jener klaren Flüssigkeit
zwischen seinen Kiefern, der wei ein Diamant leuchtete und sogleich in dem
Mund der Königin verschwand. Sobald er mit der Fütterung fertig war, ging
der kleine Arbeiter um den riesenhaften Körper herum, um den auf der
entgegengesetzten Seite gelegenen Ausgang zu erreichen.
2. Von derselben Seite und mit ihnen zusammen kamen andere Arbeiter
herein, die die Aufgabe hatten, die Eier hinauszutragen, und für sie zu
sorgen. Auch diese gingen um die Königin herum, und dann jeder mit einem
Ei, sich dem hinausströmenden Zuge anzuschließen. Man hat nachgezählt,
daß die Königin in vierundzwanzig Stunden fünfzigtausend Eier legte; man

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kann sich danach vorstellen, mit welcher Eile der Eiertransport vor sich gehen mußte.
3. Eine kleinere Gruppe von Arbeitern war mit einer viel geheimnisvolleren
Aufgabe beschäftigt, deren Sinn mir nicht ganz deutlich geworden
ist. Ich vermutete, daß sie auf irgendeine Weise die Haut der Königin zu
reinigen hätten. Sie erschienen entweder einzeln oder in Gruppen auf ihrem
riesigen Körper und strichen in ständiger Bewegung ganz sanft mit ihren
Kiefern auf ihrer Haut hin und her. Wir konnten sehen, daß sie leer
hereinkamen, ihre Körper aber beim Hinausgehen mit einer farblosen
Flüssigkeit gefüllt waren. Diese Flüssigkeit müssen sie aus der Haut der
Königin herausgesogen haben, ohne sie doch dabei irgendwie zu
beschädigen. Wir nannten sie die Masseure. Es kann aber auch sein, daß sie
die spezielle Aufgabe hatten, die Jungen zu füttern, und daß die Königin zu
diesem Zweck eine Flüssigkeit absonderte.
Außer dieser unermüdlichen
Geschäfigkeit der drei Klassen von
Arbeitern bemerkten wir dann noch
eine viel interessantere Erscheinung.
Die Zelle der Königin war von
einem Kreis der größeren Soldaten
umgeben, die sich in gleichem
Abstand voneinander befanden. Die
Ebene dieses Kreises war in einem
Winkel von annähernd 45 Grad zum

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Wasserspiegel geneigt. Im Vordergrund der Palast-Höhle standen die
Soldaten auf dem Boden, während sie an der entgegengesetzten Seite mit
dem Kopf nach unten vom Dach herabhingen. Alle ihre Köpfe waren dem
magnetischen Nordpol zugekehrt. Ich halte diese Tatsache für wichtig, weil
ich überzeugt bin, daß der Erdmagnetismus das Verhalten der Termiten
beeinflußt.
Die Glieder dieser "Leibwache", wie wir sie nennen wollen, verhielten sich
die meiste Zeit über ganz ruhig, aber hin und wieder ging eine merkwürdige
Bewegung durch sie hindurch, ein Hin- und Herschwingen des Kopfes und
des vorderen Teils ihres Körpers, das mich an den oft von Beobachtern
beschreibenen Trermitentanz erinnerte. Sobald ein Glied der Leibwache mit
diesen Bewegungen begann, steckte es nach ein paar Sekunden seinien
Nachbarn zur Rechten damit an, der dann seinerseits den Anstoß zu der
Bewegung seinem Nachbarn weitergab, und so ging es im Kreis herum, bis
der eigentliche Tanz wieder dort endete, wo er begonnen hatte.
(Eugene N. Marais)

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DAS INSEKTOID
Das Insektoid ist der nächste Schritt der Entwicklung des Menschen:
Erzeuge eine Kruste,
ein Schild um das, was Du besitzt.
Laß Öffnungen
für die Sinne.
Wähle aus, was Du fortgibst: Scheiße,
Nachwuchs
Was Du hereinläßt:
– Überleben
– Orientieren
– Verbreiten
Schaffe Werkzeuge:
– mechanische
– für die Verständigung
– sexuelle
Erweitere das Gefühl.
Erweitere das Herz
– Strang der Macht
– Gerade Linie
– Strang der Kraft
– Gerade Linie
In diesem Panzer
Schale
Das Streben nach Freiheit
kommt Bewegung gleich
Energie
Überleben
¡

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